
Im Feinschmecker-Restaurant „Warwary" fördert Anatolij Komm die russische Haute Cuisine
„Warwary“ (Barbaren) ist das erste russische Gourmet-Restaurant. Das 13-Gänge-Menü kostet 180 Euro und berauscht alle Sinne. Chefkoch und Geschäftsführer Anatolij Komm wurde als erster Russe im „Roten Michelin“ erwähnt. Seine Gäste sind kulinarische Abenteurer, die nach neuen Eindrücken lechzen. Doch sein Restaurant ist mehr als nur ein Ort für Auserwählte, es hat sozialkulturelle Bedeutung. MDZ-Autorin Valentina Nikiforova sprach mit Anatolij Komm über Barbaren und Feinschmecker in Moskau.
Die Raffinesse der selbstironischen Benennung des Restaurants teilt sich dem Besucher mit, sobald er das prunkvolle Interieur sieht, sich aber ansonsten in einer überraschend unbedrückenden Atmosphäre wiederfindet. Die Tischdecken sind weiß, das schwere Silberbesteck beschränkt sich in der Hauptsache auf einen Löffel und eine Gabel. Nach Bedarf kommen Essstäbchen, Fleisch- und Fischmesser dazu. Eine Speisekarte gibt es nicht, der Gast muss sich auf einen Reigen von 13 Gängen einlassen: getrocknete Thymianzweige, die unter frischem Rosmarin glühen und ein wunderbares Aroma erzeugen; hauchdünne Schmandkugeln, die in der Pilzsuppe schmelzen; pyramidenförmige Pralinen aus Hühnerleber; hauchdünne Chips aus Pferdefleisch; Rote Beete-Wolken – dreieinhalb Stunden slow food. Anatolij Komm, der Mann, der sich das ausgedacht hat, erscheint zum Interview. Er trägt einen weißen Kittel, helle Jeans und Sneakers und überrascht mit seiner lockeren Art und Offenheit.
Moskauer Deutsche Zeitung: Wie wurden Sie Koch?
Anatolij Komm: Ich habe diesen Beruf immer gemieden. Aber manchmal ist es so, dass nicht du den Beruf, sondern er dich findet. Als Koch erzähle ich Geschichten mit Lebensmitteln, wie der Tänzer mit seinem Tanz oder der Musiker mit seiner Musik.
MDZ:Sie haben vier bekannte Hochpreis-Restaurants in Moskau. Allerdings sagen Sie, dass „Warwary“ kein Restaurant zum Geldverdienen sei. Sind Sie Unternehmer oder Idealist?
AK: Ich will Koch sein. Gourmet-Restaurants machen in der ganzen Welt keinen Profit. Ich verdiene Geld durch Sonderbestellungen und Koch-Touren.
MDZ:In Moskau gibt es überdurchschnittlich viele schöne Restaurants. Offenbar ist in der Moskauer Gastronomie das Interieur viel wichtiger als die Küche. Warum?
AK:Barbaren eben! Die betuchten Moskauer sind meistens den Geschäftsmännern nahestehende Beamte. Meine Kunden haben in der Regel alles aus eigenen Kräften erreicht. Sie verdienen nicht so viel, dafür sprechen sie mindestens zwei Fremdsprachen. Sie wissen die Arbeit zu schätzen.
MDZ:Warum gibt es bei so viel Kaufkraft und Bemühungen seitens der Restaurantbetreiber, die Sterneköche einladen, keine Sternerestaurants in Moskau?
AK:„Michelin“ kam erst 2007 nach Japan, wo es traditionell ein besonderes Verhältnis zum Essen gibt. Anderseits ist „Michelin“ ein Reiseführer, dafür braucht das Land Straßen und Touristen. Ich würde mich sehr freuen, wenn in Moskau Restaurants aufmachen würden, die es mit meinen aufnehmen können.
MDZ: Im Ausland sind Sie anerkannt und finden sich in einer Liga mit dem Starkoch Ferran Adria. In Russland werden Sie aber eher mit einem anderen Spanier verglichen – Don Quijote. Wie erklären Sie das?
AK: Die russischen Bauern hatten sich vor hundert Jahren vor Traktoren gefürchtet, weil sie dachten, sie wären Drachen. Unsere Beamten haben Steuern auf Wein eingeführt, weil sie nur Bier und Wodka kennen. Wein halten sie für ein Luxusgetränk, das man besteuern muss. Dabei wäre es die beste Methode, um den Alkoholismus zu bekämpfen. Die Ukrainer, Georgier und Aserbaidschaner dagegen verstehen die Haute Cuisine schnell, weil sie traditionell eine reiche Esskultur haben.
MDZ: Sie haben das Kochen in der ganzen Welt gelernt. In „Warwary“ aber verwenden Sie nur einheimische Produkte und machen sich für die russische Agrarwirtschaft stark. Sind Sie Kosmopolit oder Patriot?
AK: Das eine schließt das andere nicht aus. Die Heimat will wie eine Frau geliebt werden – nicht öffentlich. Ich will dazu beitragen, dass das Essen zum russischen Kulturgut wird – wie Oper, Ballet oder Theater.
MDZ:Haben Sie daran gedacht, ein Kindermenü zu entwerfen?
AK: Wir brauchen keine Extramenüs. Die Kinder, die bei mir gegessen haben, waren immer zufrieden. Das ist eine Frage der Erziehung: Es gibt Kinder, die man in die Oper mitnehmen kann, andere nicht.
MDZ: Wie motivieren Sie sich?
AK: Ich arbeite hart 12 Stunden am Tag. Wenn ich nach der Vorstellung (so nennt Komm das Abendessen im „Warwary“, Anm. d. Red.) in den Saal gehe, Applaus bekomme und strahlende Augen sehe, dann motiviert mich das.
MDZ: Wie oft stellen Sie ein neues Menü vor?
AK: Zwei mal pro Jahr. Das ist sehr oft im internationalen Vergleich. Aber ich muss das machen, weil ich weniger Gäste als andere habe. Sie kommen mehrmals und dann muss ich ihnen etwas Neues bieten.
Warwary - russische Molekularküche
Strastnoj Blvr. 8a
M. Chechovskaja
www.anatolykomm.ru
Tel.: (7 495) 229 28 00
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